interfiction

Künstler*innen, Video- und Filmemacher*innen, Programmierer*innen, (H)A(c)ktivist*innen, Designer*innen, Medien-, Netz-, Natur- und Kulturwissenschaftler*innen sowie andere an einem interdisziplinären Austausch zum Thema interessierte Theoretiker*innen und Praktiker*innen kommen zusammen, um im Rahmen der Tagung in Vorträgen und Präsentationen Thesen und Projekte vorzustellen und zu diskutieren.

Die Ausschreibung und weitere Informationen sind unter www.interfiction.org abrufbar.

Seit 1995 findet die Workshop-Tagung interfiction jährlich als im Rahmen des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes statt. Als dessen interdisziplinäre Sektion will interfiction Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, Theoretiker*innen und Praktiker*innen zu einer Veranstaltung zusammenzubringen, in der gemeinsam das komplexe Spannungsfeld von Kunst, Medien und Netzkultur ausgelotet werden kann. Jedes Jahr wird dazu ein aktuelles Fokus-Thema ausgewählt. Ausgehend von Fragestellungen werden dabei in Vorträgen und Präsentationen Thesen und Projekte vor- und zur Diskussion gestellt, während Workshops und Gesprächsrunden einen konzentrierten Austausch fördern, der über eine Vertiefung und Reflexion hinaus auch weiterführende Perspektiven eröffnen soll.

Die Workshop-Tagung interfiction versteht sich als Forum für den Austausch, die Vernetzung und die Zusammenarbeit von Produzent*innen aus Theorie und Praxis. Die Grundstruktur der Veranstaltung entspricht dem Anliegen, als ein "temporäres Labor" zu funktionieren, also nicht nur Plattform für Ideen und Projekte zu sein, sondern eine direkten und produktive Auseinandersetzung über Fragen und Probleme zu ermöglichen, welche die Teilnehmer*innen in der Arbeit an und mit diesen Ideen bzw. im Rahmen entsprechender Projekte beschäftigen.

Leiterin der Tagung ist Dr. Verena Kuni, Professorin für Visuelle Kultur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

interfiction XXXII / 2025

NETWORK F(R)ICTIONS

„Perspektiven und Mythen von Gegenöffentlichkeit in Datennetzen“: Unter diesem Motto fand interfiction 1995 zum ersten Mal im Rahmen des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes statt. Die Idee war es seinerzeit, aus interdisziplinärer Perspektive die aktuellen Entwicklungen der Netzkultur zu diskutieren und zu fragen, welche Potenziale und Probleme sie insbesondere für diejenigen bieten, die in diesem Feld eigene Initiativen betreiben.

Erklärungsbedürftig scheint aus heutiger Sicht allem voran die im Titel der Veranstaltung prominent angesprochene „Gegenöffentlichkeit“. Mit Medien und ihren Öffentlichkeiten in Verbindung gebracht hatten diesen Begriff ursprünglich Alexander Kluge und Oskar Negt in ihrem Buch „Öffentlichkeit und Erfahrung“ (1972). Gemeint waren weniger gesellschaftliche Widerstandsbewegungen oder Subkulturen generell als Praktiken und Konzepte – die nach mehr als zwanzig Jahren dennoch hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die jüngere Gegenwart zu überprüfen waren. So konnte es 1995 vergleichsweise verwegen wirken, nach „Gegenöffentlichkeit in Datennetzen“ zu fragen, die Alternativen zu ansonsten dort dominierenden Öffentlichkeiten anbieten. Schließlich steckte das World Wide Web noch in den Kinderschuhen und fing erst nach und nach an, für weitere Kreise interessant zu werden. Auch wenn sich unter anderem mit den ersten Porno-Seiten schon neue Trends abzuzeichnen begannen: Bis zu Boris Beckers legendärem Log.In-Jubel („Ich bin drin!“) für AOL sollte es noch gute vier Jahre dauern.

Im Rahmen eines Dokumentarfilm und –Videofestes ergab der Anschluss an Kluge und Negt allerdings sehr wohl Sinn: Denn es waren insbesondere Video- und Filmemacher‘innen gewesen, die sich den Impuls zu eigen gemacht hatten, dem kommerziellen Kino und dem „Ein-Kanal-Medium“ des Fernsehens alternative Inhalte und Ästhetiken, Formate und Distributionsformen entgegenzusetzen – und in Kassel war es von Anfang an genau diese Haltung gewesen, die zuvorderst interessierte und die Programme bestimmte.

Mit Blick auf die damals öffentlich zugänglichen Datennetze konnte man zwar durchaus von alternativen Szenen im weitesten Sinne sprechen – schlicht und einfach deshalb, da sie nur von einem Bruchteil der breiteren Öffentlichkeit genutzt wurden. Gleichwohl dürfte sich die Mehrzahl der Mitglieder beispielsweise von Boards zum Austausch von Kochrezepten oder Modellbaubasteltipps kaum als Vertreter*innen von Gegenöffentlichkeit(en) verstanden haben. Was es hingegen gab – und nicht nur im Umfeld des 1981 begründeten Chaos Computer Club, der just ab 1995 auch eine Chaosradio-Sendung unterhielt – waren Kunst-, Kultur- und Medienschaffende, die sich für digitale Netzwerke als eigenständige Kommunikationskanäle und als Orte der Kunst interessierten.

Und tatsächlich: Ungeachtet des akademisch assoziierten Formats (die erste interfiction nannte sich sogar „Seminar“ – allerdings vor allem, um sich mit einem Format für intensiven Austauschs von den auf Festivals üblichen Vorträgen und Panels abzugrenzen) und ungeachtet des eher soziologisch geprägten Basiskonzepts ging es schon damals darum, Menschen aus unterschiedlichen Theorie- und Praxisfeldern zusammenzubringen, die eines einte: ihr Verständnis von digitalen Netzwerken als soziokulturell geprägten, prägenden und zugleich gestaltbaren Technologien. Dass die eingeladenen und miteinander diskutierenden Menschen zudem mehrheitlich aus dem Kontext der Kunst und/oder von Künstler*innen maßgeblich mitgestalteten Projekten kamen, war mithin kein Zufall. Einmal ganz abgesehen davon, dass zu dieser Zeit in Kassel – um genau zu sein: sogar im selben Gebäudekomplex, in dem das Dokfest seinerzeit tagte – die ersten Vorbereitungen für die von Catherine David kuratierte documenta X aufgenommen worden waren, zu der zwei Jahre später neben einer ganzen Sektion für netz- bzw. webbasierte Kunst auch der von einigen der anwesenden Initiativen mit bespielte Hybrid WorkSpace gehören sollte.

Seither ist interfiction durchgehend in Auseinandersetzung mit den Entwicklungen an den Schnittstellen von Kunst, Medien- und Netzkultur geblieben. In Details haben sich die Konturen des Konzepts zwar immer wieder gewandelt. Aber bis heute ist es eine Konstante, dass wir das Thema der Zusammenkunft aus den aktuellen Debatten im Feld beziehen, um gemeinsam anhand konkreter Projekte das Spektrum der von diesen beschriebenen Utopien und Realitäten auszuloten.

Gerade wenn es um Netzwerke geht, haben manche davon einen langen Atem bewiesen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich Modelle und Konzepte sowie deren Umsetzungen an Bildern und Vorstellungen orientieren, die ihrerseits eine lange Tradition soziokultureller Formung aufweisen, von Mythos zur Metapher. Wie die Wendung „Perspektiven und Mythen“ verrät, gehörte dies schon 1995 zu den Grundannahmen. Allerdings darf diese Beobachtung nicht darüber hinwegtäuschen, wie viel sich inzwischen auf fundamentale Weise verändert hat, wobei sich die technologischen und soziokulturellen Dimensionen gerade auch im Wandel durchgängig als eng miteinander verwoben erweisen.

Heute würde man – ganz anders als seinerzeit verstanden – mit Gegenöffentlichkeit(en) vielleicht die diversen Verschwörungstheorien anhängenden Nutzer*innen so genannter sozialer Medien bezeichnen, die sich dort unter anderem auch vehement gegen die „Lügenpresse“ und gegen Öffentlich-Rechtliche Sender formieren. Zugleich muss man zwangsläufig die wachsende Diskursmacht dieser Gruppen zur Kenntnis nehmen – und die Tatsache, dass sich diese zunehmend weit über die medialen Echokammern hinaus erstreckt, in denen sie zunächst in den Radar rutschten.

Vor allem aber haben sich die Landschaften der Netzwerke und Netzwerkstrukturen fundamental gewandelt. Weithin scheinen die vom Plattform-Kapitalismus geformten Gated Communities zu dominieren, deren Bewohner*innen die ehemals noch unendlich anmutenden Weiten des Netzuniversums so gut wie nie bereisen – schließlich gibt es für so gut wie alles, was nicht innerhalb der von Datenkraken dominierten „Smart Cities“ bzw. Dörfern angeboten wird, inzwischen eine App. Zugleich dürften auch in den Social Media die Foren auf gespenstige Weise veröden und die Plattformen zu Geisterstädten werden. Längst hat die „Enshittification“ (Cory Doctorow) des Internets ihren Lauf genommen, wachsen die KI-generierten Müllberge, auf denen Bots miteinander den letzten Walzer tanzen.

Wenn die Menschen diese Netzwerke in fernerer oder näherer Zukunft verlassen haben: werden dann alle miteinander Freifunk nutzen? Welche Netzwerke wünschen wir uns eigentlich – nicht erst morgen oder gar übermorgen, sondern hier und jetzt? Und was können wir tun, was tun wir, um diese Netzwerke Wirklichkeit werden sein zu lassen?

In diesem Jahr befasst sich die interdisziplinäre Workshop-Tagung für Kunst, Medien und Netzkultur interfiction mit Utopien und Realtäten des Netzwerkens in digitalen, analogen und analogitalen Netzwerken: NETWORK F(R)ICTIONS...

An einem interdisziplinären Austausch zum Thema interessierte Theoretiker*innen und Praktiker*innen sind dazu eingeladen, im Rahmen der Tagung in Vorträgen und Präsentationen Thesen und Projekte vorzustellen und zu diskutieren. (Verena Kuni)