Das Kasseler
Dokfest nimmt der Auswahl seiner Themenschwerpunkte und besonders bei der Bestimmung
des jährlich wechselnden Erscheinungsbildes Bezug auf gesellschaftliche und politische
Entwicklungen. Zu Beginn eines jeden Jahres bildet sich eine liebevoll genannte
„Kreativgruppe“, welche versucht, die Diskussion individueller Interessen und
Empfindungen in ein gemeinsames Thema zu übersetzen. Nachdem wir uns in den
vergangenen Ausgaben der Coronapandemie, der Klimakatastrophe und den
Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz gewidmet haben, stellen wir die Frage
nach Gleichzeitigkeit und die Überforderung damit in den Mittelpunkt. In einer
Welt, in der immer mehr Ereignisse in immer kürzeren Zeitintervallen und immer
unmittelbarer auf uns einprasseln, sind wir gefordert, rasch einzuordnen, zu bewerten
und im besten Fall eine reflektierte Haltung zum Geschehen und zur Gegenwart
einzunehmen. Dabei geht es um ein Nebeneinander von Themen und Ereignissen. Das
immer Mehr an „individualisierter“ Gleichzeitigkeit von Informationen durch
u.a. soziale Medien mündet nicht selten in Überforderung, gelegentlich gefolgt
von Ignoranz und Gleichgültigkeit oder bewusstem Ausblenden. Wenn aber Grenzen
der Belastbarkeit emotional, gesellschaftlich, ökologisch ausgeschöpft sind – wie
schaffen wir es als Einzelne und als Gesellschaft, einen Fokus zu setzen? Wie
begegnen wir Widersprüchen und entwickeln Haltungen, ohne ins Einseitige
abzudriften? Wenn wir Gleichzeitigkeiten aushalten und Widersprüchen begegnen wollen,
mit welchen Werkzeugen, Methoden, Zugängen, Blickwinkeln und mit welchen Ressourcen?
Während die Welt komplexer zu werden scheint, ist die dokumentarische Form als
Begleiterin und Weg zur Mehrperspektivität beständig. Zum Beispiel, indem sie
die Zeitlichkeit innerhalb einer Dokumentation, aber auch beim Erleben von
filmischer Zeit verändert wird. Als herausragendes Beispiel sei hier der Film
„exergue – on documenta 14“ angeführt. Eine Langzeitbeobachtung, die aus über
900 Stunden Filmmaterial schöpft und die Zuschauer*innen auf eine 14-stündige
Reise durch den Entstehungsprozess der Kunstschau mitnimmt und letztlich zu
einem Langzeitporträt des Kurators Adam Szymczyk wird. In eine ähnliche
Richtung führt der Film „DIRECT ACTION“ von Guillaume Cailleau und Ben Russell.
In minutenlangen Einstellungen ist menschliches Handwerk im wahrsten Sinne des
Wortes zu erleben: Sauerteig wird mit bloßen Händen geknetet, bis dieser fertig
ist und schließlich der Duft scheinbar in die Nase der Betrachtenden zu steigen
scheint. Die Einstellungen sprechen für sich und lassen die Zuschauer*innen
dabei zur Ruhe kommen. „Nocturnes“ lässt uns im Himalaya in die Zeitlichkeit
des Waldes eintauchen, während der Blick ins Detail die Komplexität der
Zusammenhänge von Flora und Fauna aufzeigt. Einen anderen Ansatz verfolgen
zahlreiche Kurz- und Langfilme im aktuellen Programm. Sie regen mit ihrer
Komplexität und experimentellen Ausrichtung zum „filmischen“ Nachdenken an und
erzeugen dabei Assoziationen, die nicht erwartbar sind. Als Beispiel sei hier
der Film „Soundtrack to a Coup d’État“ von Johan Grimonprez genannt. Mit hunderten
von fein tarierten Montagen verbindet er Jazzmusik und die Ermordung von
Patrice Lumumba – wie diese zusammenhängen erfahren Sie im Film. Die
Vergangenheit auf ihre Aktualität hin zu befragen, ist auch das Anliegen
zahlreicher weiterer Filme und Kurzfilmkompilationen. Die Kurzfilmkompilationen
#8 Der Kaiser*innen neue Kleider (aber sie haben ja gar nichts an) und #14
Geschichte im Quadrat und „Petra Kelly – Act Now!“ von Doris Metz oder der
Eröffnungsfilm „Riefenstahl“ von Andres Veiel seien hier genannt. Der Zufall führte
zur Entdeckung einer filmischen Trilogie, die sich auf bemerkenswerte Weise mit
Kassel und den Auswirkungen des Nationalsozialismus konkret auf das jüdische
Leben in dieser Region beschäftigt. Produziert in den Jahren 1996 bis 1999,
stellt „Kassel, années 30: une trilogie allemande“ von Catherine Bernstein sehr aktuelle Fragen nach
Ausgrenzung und Zugehörigkeit. In einem Vorwort können Programmlinien
angedeutet und einige Filme exemplarisch herausgehoben werden. Aber jeder der
212 Filme und jede der 17 Installationen des aktuellen Programms hätte eine
eigene Würdigung verdient. Einen kurzen Abriss geben die Einführungstexte in
der Katalogabteilung: das Festival stellt sich vor. Ein
Film – und Medienfestival ist kein statisches Gebilde. So gibt es auch in
diesem Jahr Neuerungen: Die Kasseler Firma Qoncept Energy GmbH stiftet den
Goldenen Herkules und dokumentiert ihre Verbundenheit zum regionalen Filmschaffen.
Neben den altbekannten und bewährten Spielorten für Filme und den
Ausstellungsräumen für die Ausstellung Monitoring erkundet das Kasseler Dokfest
neue Orte und schließt neue Partnerschaften. So wird die UK14 erstmals den
Hessischen Hochschulfilmtag sowie die Preisverleihung beherbergen. Die
DokfestLounge zieht – wie schon oft in der Geschichte des Dokfestes – weiter in
eine neue Location. Der neu gegründete Club in der ehemaligen Tofufabrik
ermöglicht einen Raum zur Begegnung aller Festivalgäst*innen zu später Stunde. Feiern
und danken möchten wir auch den zahlreichen Unterstützer*innen und
Sponsor*innen des Kasseler Dokfestes, sowie unserem Freundeskreis, die dieses
Festival erst ermöglichen. Der größte Dank gebührt aber den über 200 Filmemacher*innen
und Künstler*innen, die mit ihren Werken den Kern des Festivals ausmachen.
Die Organisation eines
Filmfestes ist komplex, herausfordernd und beglückend zugleich. Allen
Beteiligten sagen wir an dieser Stelle Danke und wünschen unseren
Zuschauer*innen unterhaltsame und anregende Tage beim Kasseler Dokfest.
Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde,
herzlich willkommen zum Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest 2024! In den kommenden sechs Tagen wird Kassel bereits zum 41. Mal zum Zentrum des aktuellen dokumentarischen, experimentellen und künstlerischen Films, zur Austausch- und Präsentationsplattform für die internationale Dokumentar- und Kunstfilmszene und zum Anziehungspunkt für regionale Filmfans. 212 Lang- und Kurzfilme sowie 17 Medieninstallationen aus 57 Ländern hat das kuratorische Team aus insgesamt 2.500 Einreichungen erwählt und damit ein überaus abwechslungsreiches und qualitätvolles Programm zusammengestellt, das sich multiperspektivisch den gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit widmet. Inhaltliche Schwerpunkte bilden dabei Arbeiten, die zum einen Exil und Migration sowie zum anderem kollektives Erinnern thematisieren. So präsentiert das Festival in einem Sonderprogramm und als einen Höhepunkt beispielsweise die Trilogie „Kassel, années 30: une trilogie allemande (Kassel, 30er Jahre: eine deutsche Trilogie)“, in welcher die Filmemacherin Catherine Bernstein jüdische Geschichte in Kassel erforscht. Die Trilogie feiert im Rahmen des Festivals ihre Deutschlandpremiere; im Übrigen nur eine von über 100 Premieren innerhalb der sechs Veranstaltungstage. Neben dem vielseitigen Filmprogramm begeistert das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest darüber hinaus auch in diesem Jahr mit den bekannten und beliebten Formaten Monitoring – der Ausstellung für zeitgenössische, internationale Medienkunst, der interdisziplinären Workshop-Tagung interfiction, der Diskussionsplattform DokfestForum, dem jungen dokfest, der DokfestGeneration, dem DokfestBrunch, der DokfestLounge, der Verleihung von vier Festivalpreisen sowie dem 15. Hessischen Hochschulfilmtag. In dieser Vielschichtigkeit, Qualität, internationalen Ausrichtung und Fokussierung auf filmische und neue Medien ist das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest einzigartig in Kassel und Hessen. Fest verankert in der kulturellen Landschaft ist es damit zugleich nicht mehr wegzudenkender Baustein in unserer Ausrichtung als Film- und Medienstadt und internationales Aushängeschild für unsere Kulturstadt. Mein herzlicher Dank gilt dem Team des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes für die Hingabe und das unermüdliche Engagement für die Veranstaltung sowie allen Kooperationspartner*innen, Unterstützer*innen und Sponsor*innen, die mit ihrem individuellen Beitrag wesentlichen Anteil am Erfolg des renommierten Filmfestivals haben. Ich wünsche Ihnen viele bewegende Filmmomente, spannende Neuentdeckungen, inspirierende Erkenntnisse sowie anregenden Austausch im Rahmen des 41. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest.
Herzlich
Ihr
Dr. Sven Schoeller
Oberbürgermeister der Stadt Kassel
Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde,
ich freue mich sehr, Sie als Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur zum Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest in meiner nordhessischen Heimat willkommen zu heißen. In seiner 41. Ausgabe bringt das Festival wieder regionales und internationales künstlerisches Schaffen zusammen. Dafür gebührt dem Organisationsteam nicht nur Anerkennung und Dank, sondern auch unsere Unterstützung. Die Fülle der nordhessischen Multimedialandschaft zeigt sich in knapp 30 Filmen, die um den Goldenen Herkules konkurrieren, der für eine herausragende filmische Produktion aus Nordhessen vergeben wird. Insgesamt wird beim Festival die hessische Filmförderung gut sichtbar: Unter anderem mit Werken, die auch beim diesjährigen Hessischen Film- und Kinopreises vertreten waren: Das Spektrum reicht von „Shahid“ von Narges Kalhor über „Exile Never Ends“ von Bahar Bektaş bis zu Kurzfilmen wie „Die Stadt ist die Gilde und die Gilde ist die Stadt“ von Jonas Leichsenring. Einer der Themenschwerpunkte in diesem Jahr sind queere Perspektiven. Sie spiegeln sich zum Beispiel wider in den Langfilmen „Trans Memoria“ und „Quir“, in den regionalen Filmbeiträgen „It’s (not) a Men’s World“, „Gotteskinder“ und „Der König von Spanien“ sowie im Kurzfilmprogramm. Und auch Arbeiten der Medienkunstausstellung Monitoring beschäftigen sich mit queeren Lebenswelten. Das Persönliche und Zwischenmenschliche wird durch einen zusätzlichen Fokus auf die Auseinandersetzung mit öffentlichen Räumen und Umwelt ergänzt. Ein besonderes Merkmal des Kasseler Dokfestes ist das Spannungsfeld zwischen Kunst und Dokumentarischem. Der 14-stündige Film „exergue – on documenta 14“ wird in diesem Jahr in einem Sonderprogramm im kleinen BALi vom 14. bis zum 16. November und im Anschluss für ein breites Kasseler Publikum vom 22. bis 24. November im großen BALi zu sehen sein. Aber nicht nur die Filmkunst aus aller Welt macht das Kasseler Dokfest so spannend. Es ist ein wichtiger Multiplikator und eine Plattform für das hessische Filmschaffen. Hier treffen sich Produzentinnen und Produzenten, Künstlerinnen und Künstler, Regisseurinnen und Regisseure mit dem Nachwuchs der hessischen Filmhochschulen auf dem Hessischen Hochschulfilmtag. In Zusammenarbeit mit der hessischen Film- und Medienakademie bietet er den Studierenden der vier hessischen Hochschulen mit Filmausbildung in Darmstadt, Offenbach, Kassel und Wiesbaden Gelegenheit, ihre Projekte einem Publikum aus der Filmbranche zu präsentieren und Kontakte in die Film- und Fernsehbranche zu knüpfen. Ich wünsche dem Veranstaltungsteam und dem Publikum des Kasseler Dokfestes ein gelungenes Filmfest und interessante neue Einblicke in das Filmland Hessen!
Ihr
Timon Gremmels
Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur
Sehr geehrte Besuchende des 41. Kasseler Dokfestes,
sehr geehrte Besuchende der Monitoring Ausstellung 2024: Bond Constraint Parameters,
Die Türen stehen offen, es gibt keine Schwelle, keinen Pförtner, kein Schloss. So sollen die kommenden Tage im Rahmen des 41. Kasseler Dokfests sinnbildlich stattfinden. Eine Ausstellung, in der sich alle willkommen fühlen sollen. Eine Ausstellung, die mittlerweile bereits eine lange Tradition hat im Rahmen des Kasseler Dokfestes, und an der wir als Kasseler Kunstverein immer wieder mit sehr viel Vergnügen mitarbeiten. Das Kasseler Dokfest und seine begleitende Ausstellung für Medieninstallationen haben gleiche Ziele – nämlich Künstlerinnen und Künstlern Raum zum Experimentieren zu bieten und dem Publikum zu ermöglichen, sich mit neuen Strömungen auseinanderzusetzen. Die Ausstellung soll niedrigschwellig und gleichzeitig repräsentativ sein. Das Kasseler Dokfest und der Kasseler Kunstverein setzen sich gemeinsam dafür ein, als öffentliche Institution vor allem Demokratie zu leben. Dabei gilt es, als Institution keine Angst zu haben, den Diskurs über Ethnizität und Geschlecht zu führen. Wir wollen wirklich zuhören. Was erzählen uns die Menschen zu diesen Themen. Gerade in der Kunst geht es darum, von der Öffentlichkeit tabuisierte Erfahrungen sichtbar zu machen und unterschiedlichen Stimmen die Möglichkeit zu geben, gehört und gesehen zu werden. Künstlerinnen und Künstler zeigen den Besuchenden, was sie erleben, und wie sie die Welt sehen. Das Kasseler Dokfest und der Kasseler Kunstverein unterstützen sie dabei und teilen diese Verantwortung. Die gesellschaftliche Reflexion, die wir mit Ihnen als Publikum führen wollen, ist das grundlegende Fundament einer offenen Gesellschaft. Kunst existiert nicht nur für eine ausgewählte Gruppe privilegierter Bürgerinnen und Bürger; Ausgrenzungen sollen verschwinden; andere Geräusche, andere Stimmen, andere Geschichten haben den gleichen Wert und das gleiche Recht gehört und erzählt zu werden. Somit lade ich Sie ein, sich nicht nur beeindrucken zu lassen von den unterschiedlichen Erfahrungen, die von den Künstlerinnen und Künstlern in Filmen und Medieninstallationen visualisiert werden, sondern auch mitzugestalten durch Anregungen, Diskussionen und gemeinsame Entdeckungen während des 41. Kasseler Dokfestes.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Mit freundlichen Grüßen,
Jero van Nieuwkoop
Vorstandsvorsitzender des Kasseler Kunstvereins